Aktive Preispolitik als Hebel für Kundenbindung
- Ronny Mees

- 19. Nov.
- 4 Min. Lesezeit
Warum wertbasierte Preisstrategien Bindung stärken – selbst bei steigenden Preisen
Eines der ersten Merksätze, die ich zum Produktmanagement lernte heißt: "Keep the prices high". Da ist wichtig, insbesondere im B2B Geschäft. Oft erlebe ich Initiativen, die "Einstiegspreise" offerieren. Das ist jedoch eher ein Einstieg in das Verlustgeschäft !

Selbst unter "normalen" Umständen sind Preiserhöhungen nicht immer leicht durchzusetzen. Hier hilft eine durchgängige aktive Preispolitik.
Preise zu erhöhen gilt oft als riskant. Viele Unternehmen fürchten Abwanderung, sinkende Zufriedenheit und Beschwerden. Gleichzeitig zeigen Daten und Studien seit Jahren ein widersprüchliches Bild: Firmen, die aktiv ihre Preisstrategie gestalten, erzielen oft höhere Kundenbindung, obwohl ihre Preise steigen.
Ich habe genauer hingeschaut – und ja, dafür gibt es belastbare Hinweise. Sie sind nicht trivial, aber sie passen erstaunlich gut zu dem, was wir in der Praxis sehen.
Was bedeutet „aktive Preispolitik“ eigentlich?
Preispolitik beschreibt alle Entscheidungen rund um Preisniveau, Preisstruktur und Preisgestaltung eines Angebots.Aktiv heißt: nicht nur Preise „anpassen“, weil Kosten steigen, sondern
Preise wertbasiert entwickeln,
Kundensegmente berücksichtigen,
Fairness und Transparenz bewusst steuern,
Preismodelle gestalten (z. B. Abo, Nutzungsmodell, Bundles),
Kommunikation professionell aufsetzen.
Kurz: Preise werden geführt, nicht nur verwaltet.
Preis verändern heißt Beziehung verändern
Die Forschung unterscheidet zwei zentrale Einflussfaktoren:
1. Tenure (Dauer der Kundenbeziehung)
Je länger ein Kunde beim Anbieter ist, desto geringere Preissensitivität zeigt er. Begründung: Vertrauen, Gewohnheit und Wechselkosten erhöhen die Toleranz.
2. Breadth (Breite der Kundenbeziehung)
Je mehr Produkte/Dienstleistungen ein Kunde vom Anbieter bezieht, desto komplexer wird die Preiswirkung.Begründung: Große Kunden haben mehr Transparenz, mehr Vergleichsmöglichkeiten und oft höhere Erwartungen.
Diese Zusammenhänge stammen u. a. aus einer Studie von John Dawes („The Effect of Service Price Increases on Customer Retention“, Journal of Service Research). Die Untersuchung zeigt:
Preiserhöhungen erhöhen grundsätzlich die Abwanderung.
Aber: Bei langjährigen Kunden ist die Wirkung deutlich geringer.
Und: Bei Kunden, die sehr viele Leistungen beziehen, ist sie teils stärker.
Das bedeutet für die Praxis: Preiserhöhungen sind kein reines Risiko – aber sie müssen sauber geführt werden.
Warum wertbasierte Preisstrategien Bindung erhöhen
Value-Based Pricing
Das ist Preisgestaltung auf Basis des wahrgenommenen Nutzens (Value) für den Kunden – nicht auf Basis von Kosten oder Wettbewerbern.Unternehmen, die konsequent wertbasiert kalkulieren, berichten in mehreren Erhebungen:
ca. 30 % weniger Churn (Abwanderung),
signifikant höhere Loyalität,
deutlich bessere Lifetime Values (Wert eines Kunden über die gesamte Beziehungsdauer).
(Daten u. a. aus Analysen von Price Intelligently / ProfitWell, HBR-Einzelbeiträgen und B2B-Pricing-Reports.)
Warum wirkt das so stark?
Weil Kunden den Eindruck bekommen, dass der Preis eine logische Konsequenz aus dem Wert ist, den sie nutzen – nicht aus internen Kostenthemen des Anbieters. Das schafft Vertrauen und reduziert Preisstress.
Preisfairness als unterschätzter Bindungsfaktor
Preisfairness bedeutet:
Der Preis wirkt nachvollziehbar.
Die Änderung wirkt angemessen.
Es gibt keine bösen Überraschungen.
Studien aus Marketing-Science und Service-Forschung zeigen sehr klar:
Faire Preise steigern Zufriedenheit und Loyalität.
Wahrgenommene Unfairness ist einer der stärksten Treiber für Beschwerden und Kündigungen.
Kunden bewerten nicht nur den Preis selbst, sondern die Geschichte dahinter.
Viele Preisentscheidungen scheitern nicht an der Höhe, sondern an der Kommunikation.Oder anders:
„Nicht die Preiserhöhung ist das Problem – das Schweigen davor.“
Wenn ein Kunde versteht, warum ein Preis steigt (z. B. bessere Performance, mehr Funktionen, zuverlässigerer Service), ist seine Toleranz überraschend hoch.
Preismodelle als Retention-Werkzeuge
Immer mehr Forschung – vor allem aus SaaS, digitalen Services und B2B-Subscription – zeigt:Die Struktur des Preises ist für die Bindung oft wichtiger als die Höhe.
Wichtige Modelle:
Subscription Pricing
Wiederkehrende Gebühren (monatlich/jährlich).Effekte:
stabilere Beziehungen
geringere Wechselbereitschaft
planbare Umsätze
Usage-Based Pricing
Zahlung nach tatsächlicher Nutzung (Pay-as-you-go).Effekte:
weniger Barrieren beim Einstieg
bessere Kundenakzeptanz
geringerer Zwang zu Kündigungen bei vorübergehender Nichtnutzung
Tiered Pricing / Bundles
Preispläne oder Leistungspakete für unterschiedliche Segmente.Effekte:
einfachere Skalierung
bessere Passung zu Kundengruppen
kontrollierte Auf- und Abstiege statt Kündigung
Große Anbieter wie Shopify, BigCommerce oder Stripe weisen regelmäßig darauf hin, dass diese Mechaniken direkt auf Retention, CLV (Customer Lifetime Value) und Expansion Revenue einzahlen.
Loyalty-Mechaniken verstärken den Effekt
Loyalty-Programme wirken wie ein Puffer bei Preisanpassungen.Typische Elemente:
Statuslevel
exklusive Konditionen
Produkt- oder Service-Upgrades
Preisgarantien für Bestandskunden
Mehrere Untersuchungen (u. a. McKinsey, BCG, Loyalty-Science-Reviews) zeigen:
Wer Preiserhöhungen mit erkennbaren Vorteilen für Bestandskunden kombiniert, steigert die Bindung – selbst wenn der Listenpreis steigt.
Die Daten zeigen relativ eindeutig:
Preiserhöhungen für sich genommen erhöhen nicht die Bindung.Aber eine aktive, wertorientierte und fair kommunizierte Preispolitik kann Kundenbindung steigern – selbst wenn das Preisniveau steigt.
Was heißt das für die Praxis?
Ein paar Leitplanken für produktstrategische Preisarbeit:
1. Wert sichtbar machen
Kunden müssen spüren, was sie bekommen – bevor sie den neuen Preis sehen.
2. Segmente unterschiedlich führen
Langjährige Kunden (hohe Tenure) → gut geeignet für behutsamere Preisanpassungen.
Kunden mit breiter Nutzung (hohe Breadth) → besonders sauber erklären und Mehrwert herausarbeiten.
3. Preismodelle pflegen
Ein Downgrade ist oft besser als eine Kündigung. Preismodelle sollten das ermöglichen.
4. Kommunikation als Teil der Preisstrategie
Eine Preiserhöhung ist ein Projekt – kein PDF mit neuer Zahl.
5. Loyalität belohnen
Bestandskunden sollten spüren, dass sie beim Anbieter bleiben wollen.
Fazit
Aktive Preispolitik ist kein Nebenprojekt, sondern ein Hebel für Wachstum. Unternehmen, die Preise strategisch führen, profitieren doppelt:
Sie realisieren höhere Preise.
Und sie halten ihre Kunden länger.
Nicht trotz der Preise, sondern wegen der Art und Weise, wie sie sie gestalten.




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